Ursachen der Finanzkrise, Teil 1: Wie ist unsere Finanzkrise entstanden?

Das heutige Finanzsystem hat sich in den letzten Jahrzehnten drastisch verändert. Zusammenfassend kann man sagen, dass es zunehmend liberalisiert und dereguliert wurde.  Schon 1944 wurde eine Weltleitwährung von den USA abgelehnt um ihren Dollar als Leitwährung durch zu setzen. Ab 1958 wurden viele Währungen untereinander tauschbar, können aber bis heute von den betroffenen Nationalstaaten nur innerhalb ihrer nationalen Grenzen kontrolliert werden. Es entstand ein weltweiter Kapitalmarkt. Gelder wurden von einheimischen Banken in fremde Länder verschoben um der Besteuerung zu entgehen. Die Banken sparten damit Geld und gaben dieses an ihre Kunden weiter. 1973 wurde wegen der Finanzierung des Vietnamkrieges die Bindung des US-$ an den Goldstandard aufgehoben. Die Folgen: die USA drucken (bis heute) so viel Geld wie sie wollen und fast alle Währungen waren ab diesem Zeitpunkt an den Börsen frei handelbar und damit Ziel von Währungsspekulanten.

Nach den beiden Ölkrisen 1973 und 1979 stieg der Ölpreis rasant an. Die arabischen Staaten machten große Gewinne, die sie aber nicht in die Realwirtschaft, sondern in die Kapitalmärkte investierten. Auch die multinationalen Konzerne machten ab diesen Jahren sehr große Profite, die sie ebenfalls an den Kapitalmärkten anlegten, weil dort höhere Gewinne zu erzielen waren. So entstand der bis heute so  überaus problematische Finanzkapitalmarkt. Er ist eine der Hauptursachen der Finanzkrise: es ist heute viel zu viel freies Geld (1,3 Billiarden US-Dollar, eine 1 mit 15 Stellen nach dem Komma) vorhanden, das
von hochprofessionellen Geldanlegern angelegt wird, wo immer es Profite verspricht.

Nach 1973 bis zum Ende der 80er-Jahre wurden auch in der EU die Kapitalbeschränkungen durch die Politiker abgebaut. 1994 wurde schließlich in einem Zusatz zum Vertrag von Maastricht jede Beschränkung des freien Kapitalverkehrs in der EU verboten. In Asien und Afrika verlief die Liberalisierung etwas langsamer. Manche Länder konnten von der Weltbank oder dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zur Liberalisierung gezwungen werden, wenn sie etwas von der Staatengemeinschaft wollten (z.B. wollte 1996 Südkorea in die OECD). Etwas zögerlich verhalten sich nur Indien und China.
Es gab noch eine Reihe weiterer wichtiger Deregulierungen, etwa die Aufhebung der Trennung von Geschäfts- und Investmentbanken. Sie hatte zur Folge, dass Banken zu groß werden konnten, als dass man sie einfach hätte bankrott gehen lassen können (to big to fail). Die Folge davon sind Bankenrettungspakete auf Kosten der Steuerzahler. Nur diese Bankenrettungen haben viele Staaten erst in finanzielle Bedrängnis gebracht (besonders Irland, teilweise auch Island).


Die Durchschnittsverdiener spürten in den letzen zwanzig Jahren nicht viel von diesen Veränderungen. Alle Reichen aber, Einzelpersonen wie Gesellschaften, Banken und Gruppen von Anlegern können jetzt in Sekundenschnelle unbegrenzt Geld um den Erdball schicken, immer in der Hoffnung irgendwo bei einer beliebigen Entwicklung mitschneiden zu können. Zu den drastischen Beispielen gehören die Spekulation gegen die Wirtschaft ganzer Staaten und casinoartiges Wetten auf irgendwelche Veränderungen - immer in der Hoffnung auf riesige Gewinne und mit dem Risiko auf extrem hohe Verluste (aktuelles Beispiel vom Mai 2012: eine Abteilung der US-Bank JP-Morgan verspekulierte im ersten Quartal 2012 2-4 Mrd
EURO. (Wenn man ein Häusle oder eine teure Wohnung mit 500.000 EUR veranschlagt, dann war das das Geld für 4000 - 8000 Wohnungen.)

Diese Spekulationen haben eine Reihe von Staatskrisen ausgelöst (z.B. Japan, Mexiko, Thailand), die bei uns eher wenig registriert wurden, weil sie zumeist außerhalb von Europa
stattgefunden haben. Politiker und Durchschnittsbürger haben diese Vorboten nicht ernst genommen, obwohl es immer wieder einzelne alternative Ökonomen gab, die diese Krisen richtig interpretiert haben. Spätestens mit der derzeitigen Eurokrise wird uns allen diese Entwicklung unübersehbar vor Augen geführt. Wir müssen Hilfspakete für andere Länder in der Eurozone bezahlen, bekommen in der Folge davon Sparpakete verordnet, Subventionen werden gestrichen, Steuern erhöht usw...


Unsere derzeitige Finanzkrise hat natürlich noch andere Ursachen, auf die wir in den nächsten Beiträgen genauer eingehen werden: die Rolle der Banken bei der Entstehung von Geld, die Spekulation, die Gier, das oft unselige Zusammenspiel von Politikern und Wählern, eine relativ hohe Staatsverschuldung, ein sehr einseitiger Wirtschaftsglaube, die Wachstumsideologie, das Sich-abhängig-machen der Staaten von den internationalen Kapitalmärkten und deren Rating-Agenturen, sehr halbherzige Entscheidungen bei der
Einführung des EURO und eine sehr langsame Entscheidungsfindung bei der Bewältigung der jetzigen Krise. Die wichtigsten Akteure, die bei einer erwünschten Veränderung mitwirken können, sind
heute: die meist anonym auftretenden Finanzmärkte, die Politiker als mögliche Kontrolleure der Finanzmärkte und die Wählerinnen und Wähler als mögliche Kontrolleure der Politiker und Politikerinnen. Hinzu kommen noch die Ökonomen als wissenschaftliche Experten. Sie befinden sich derzeit in einer grundlegenden Krise, weil sie zunehmend zur Kenntnis nehmen, dass ihre vorherrschenden Bilder von Wirtschaftszusammenhängen und daher ihre Ratschläge und Prognosen in sehr hohem Maße falsch waren.

Unser Beitrag. Die Finanzkrise hat auch eine persönliche Komponente. Wir sollten uns gründlicher über Finanzwirtschaft informieren. Wir müssen uns politisch gruppieren, wenn wir Einfluss ausüben wollen. Wir müssen uns neu fragen, was für uns das wichtigste Wirtschaftsziel ist: das Überleben aller Menschen sichern oder um jeden Preis das eigene Geld vermehren. Noch hungert eine Milliarde Menschen auf der Erde. In Österreich leben eine Million Menschen unter oder knapp über der Armutsgrenze. Schließlich können wir wirtschaftlich alternativ handeln (z.B. im TTKV), wir können unser Geld nach ethischen
Kriterien anlegen usw...

Verfasst von Pax Christi Vorarlberg,
Arbeitsgruppe Gerecht Wirtschaften
(Endversion vom 22.5.2012)
Fragen und Anregungen nehmen wir gerne auf, um sie in dieser Artikelserie zu verwerten.
E-mails bitte an: michael.striebel [at] gmx.at

Veröffentlichungen zum Thema:
•Felber Christian: Kooperation statt Konkurrenz – 10 Schritte aus der Krise. Wien 2009
•Kessler Wolfgang und Schneeweiß Antje (Hrsg.): Geld und Gewissen. Was wir gegen den Crash tun können. Oberursel 2010. Publik-Forum Verlag

Wer gerne im Internet liest: www.monetative.de

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